Jugendlebensschule

Jugendlebensschule

You can´t stop the hardcore!

Anfang August fand die erste INDES-Jugendlebensschule statt. Auf der altbewährten Lebensschul-Hütte in Oberösterreich haben 11 Burschen und Mädchen zwischen 16 und 21 unter der Aufsicht ihrer Lebenslehrer Fridl und Vroni eine Woche verbracht. Warum? Nun, wer bringt ihnen denn sonst bei Feuer zu machen, so richtig Mensch zu sein oder Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen?…Ganz genau.

Ich habe versucht alles chronologisch zu ordnen, in Tage einzuteilen. Doch das war nicht möglich. Dort oben wird gegessen wenn Vroni mit dem Kochen fertig, geschlafen wenn man müde ist und aufgestanden, wenn Fridl morgens vor der Türe ein Lied auf der Gitarre spielt. Zeit ist schlichtweg nicht nötig. Und so verschwimmt die ganze Woche eher zu einem einzigen Eindruck voller verschiedener Geschehnisse anstatt einer Abfolge von Tagen.

Jugendlebensschule005Da war zum Beispiel das Lagerfeuer ganz am Anfang, wo alle erzählt haben, wie es familiär zuhause aussieht oder was die anderen über einen wissen sollten, verbunden mit der Einteilung in sogenannte Clans. Zuständig für Wasser, Feuer und Küche. Alle zwei Tage wechselten die Aufgabenbereiche, damit jeder die geleistete Arbeit der anderen zu schätzen und nachzuvollziehen wusste. Auch die Befreiung des Weges zum Pipi-Kacka-Land von Brennnesseln, bei der nebenbei etwa 15 zivile Jungbäume einer Machete zum Opfer gefallen sind („Weils vui geil is, Oida!“) oder, natürlich, die hunderten Liegestütze die wegen dem Wort „Scheiße“ gemacht wurden. Besonders nett hat unser Treiben von außen wahrscheinlich nicht ausgesehen. Auf Fragen wie „Warum sind deine Knie so wund?“ kam meist von irgendwo hinter der Hütte von einem Außenstehenden sowas wie „Wie soll sie mir sonst einen blasen?!“ gerufen. Auch Fridl wollte die Welt anscheinend von Zeit zu Zeit brennen sehen und glänzte mit Leistungen, wie in einen Haufen hungriger, müder und, zur Abwechslung, friedlich dösender Jugendlicher einen einzelnen Keks zu werfen. Die Folgen: Krieg, Anarchie, traumatisierte Seelen. Doch der Schein trügt. Noch immer vermisse ich es wo zu sitzen und plötzlich den Kopf gekrault zu bekommen oder massiert zu werden. Jeder wusste, dass sich das für den anderen gut anfühlt – warum sollte man jemandem also nicht im Vorbeigehen mal den Tag verschönern?

Während wir uns bei dem vorherrschend schlechten Wetter anfangs noch drinnen verkrochen und Karten gespielt (und Unmengen an Essen in unheimlichen Kombinationen verschlungen) haben, kamen wir später auf Ideen wie Dinge selbst zu bauen, was die wenigsten schon einmal wirklich praktiziert hatten (lustig), eine gib-Gas Einheit bei der man unter anderem eine steile, gatschige Straße hinaufsprinten musste abzuhalten (erst im Nachhinein lustig) oder Schlammcatchen, was definitiv einen Höhepunkt der Woche dargestellt hat (sehr lustig). Trainiert wurde wegen des Wetters leider nicht sonderlich viel, auch wenn Fridl sich alle Mühe gegeben und einiges einfallen gelassen hat (Schwertstunden, Bogenschießen auf die selbstgebaute Puppe namens Rickon/Rickoff Stark, Aufwärmen vor dem Frühstück, Speerwerfen, oder auch Ringen) - nur leider war der Gatsch überall (Auf der Wiese, in den Schuhen und sogar am Frühstückstisch). Doch eines Tages übertraf unser Lebenslehrer sich selbst und brach mit uns zu einem Regenspaziergang auf. Niemand hat sich um ein erste-Hilfe Paket oder ähnliches gekümmert und als uns eine Herde Kühe den Weg versperrte und wir uns nicht recht vorbeitrauten hatte er eine Idee. Nach einiger Zeit hatten sich zwei unserer Gruppe, die barfuß unterwegs gewesen waren, „verletzt“ Sie konnten laut Fridls Anweisungen nicht mehr gehen, einer war ohnmächtig – was jetzt? Unterschiedliche Reaktionen. Ein paar hielten die Nachricht für einen schlechten Witz, ein paar für mehr als real und ein paar dachten erst einmal an gar nichts. Dann, langsam tauten alle auf. Schauen, ob sie noch atmen, warm einpacken, fragen, wer sich mit sowas auskennt. Gruppen bilden, mit vereinten Kräften über Stock und Stein zurück tragen. Vieles ist schief gelaufen – die Gruppen haben nicht mehr miteinander kommuniziert, gute Ideen gingen in der Hektik unter, es gab Chaos. All das sollte nach dem langen Marsch besprochen werden. Fridl ließ uns reflektieren, unser eigenes Verhalten analysieren. Kritisierte, lobte und gab uns sehr viel Stoff zum Nachdenken. Die etwas angespannte Stimmung legte sich dadurch in Verbindung mit Abendessen, Spielen und Kerzenschein sehr schnell. Mit dem Satz „Glaubt mir, ihr werden euch noch lange den Kopf darüber zerbrechen, warum ihr wie reagiert habt.“ hatte er recht.

Ganz am Ende der Woche gab es gemischte Gefühle. Auf der einen Seite die Sehnsucht nach vertrauter Umgebung, Familie und einer heißen Dusche, andererseits wollte man sich mit dem Gedanken, die hier gefundene Ruhe und den Frieden, Freunde und Freiheit zu verlassen, nicht recht anfreunden. So wurde trotz bitterer Kälte tapfer ein Lagerfeuer gemacht, gescherzt, gesungen, abgeschlossen. Die tapfersten (oder die, mit dem größten Selbstzerstörungsdrang) saßen sogar noch bis etwa 4 Uhr morgens dort, beobachteten Sternschnuppen, lagen sich in den Armen und, vor allem, lachten sie.

 

Ich glaube, dass alle der eigenen Menschlichkeit dort oben ein Stück näher gekommen sind. Einfach sein, wie man sich grade fühlt, auf sich selbst hören und tun, statt nur darüber nachzudenken. In einer Gruppe vertrauen fassen, gemeinsam lachen. Die Welt als das zu sehen, was sie gerade ist und sich dort einzufügen. Lernen und Leben, lernen zu leben, wie es sich für eine Lebensschule wohl gehört.

 

Elena

Updated: 15. Januar 2017 — 19:54